Dienstag, 28. April 2015

Toleranz, Respekt, Glaube. Warum wir glauben – ohne es zu wissen (1)



Nach einem Vortrag von mir über den Islam entwickelte sich im Foyer des Veranstaltungssaals der folgende Dialog. Ein junger Journalist, mit - wie er betonte - internationaler Erfahrung, verwickelte mich in ein Gespräch, und meinte sinngemäß: Was immer wir über den Islam denken mögen - wir sollten ihn auf jeden Fall respektieren. Dies sagte er mit solcher Bestimmtheit, daß ich im Begriff war, ihm ohne weiteres zuzustimmen. Ich zögerte aber, und fragte, einem Einfall folgend:

„Sie respektieren also den Islam?“

„Ja“, sagte er.

„Was genau“, fragte ich, „respektieren Sie an ihm?“,  

Und setzte, da er offensichtlich Mühe hatte, zu antworten, nach.

„Der Islam ist doch ein Glaube - Glaubenslehre und Glaubenspraxis. Und als Glaubenslehre und -praxis hat er konkrete Inhalte. An welche konkreten Inhalte dieser Glaubenslehre, resp. –praxis denken Sie, wenn Sie sagen, Sie respektieren den Islam?“

Mein Gegenüber schwieg weiter, und ich begann mehrere - zurückhaltend formuliert - problematische Aspekte der islamischen Glaubenspraxis aufzuzählen.

„Respektieren Sie es etwa, daß in einigen islamisch geprägten Ländern Apostaten (1) und Homosexuellen die Todesstrafe droht? Ehebrecher(inne)n gar die Steinigung? Daß etwa im Iran, offiziellen Angaben der Behörden zufolge, Jahr für Jahr zehntausende Mädchen zwischen zehn und fünfzehn, mitunter auch unter zehn Jahren verheiratet werden? Daß - “

Nein, meinte der Journalist, das respektiere er natürlich nicht – und daß man den Islam auch anders interpretieren könne: Liberaler, aufgeklärter, moderner.

„Ja“, sagte ich, „das kann man natürlich. Es gibt verschiedene Interpretationsweisen des Islams und verschiedene Weisen, ihn zu leben. Sie respektieren den Islam aber nur, sofern er Ihren eigenen aufgeklärten und liberalen Vorstellungen entspricht. Sie respektieren also nicht ‚den Islam’, als das Andere und das Fremde, Sie respektieren, im Gegenteil, bloß Ihre eigenen Haltungen - als modernes, aufgeklärtes, demokratisch gesinntes Subjekt.“

*

Die Rede vom „Respektieren-müssen“ des Islams, die unter weltoffenen und aufgeklärten Zeitgenossen so verbreitet ist, daß ich das skizzierte Gespräch, hätte es nicht so und nicht anders stattgefunden, erfinden hätte müssen - diese Rede scheint also bei genauerem Hinsehen das Gegenteil dessen zu enthalten, was sie zu enthalten vorgibt: Es ist nicht der Journalist, der „den Islam“ respektiert – er erwartet vielmehr vom Islam, daß er ihn, den Journalisten, und seine Werte respektiere.

Dennoch sollten wir der Versuchung widerstehen, diese Rede als substanzlos abzutun. Als Gerede, das sich, bei Lichte betrachtet, in Nichts auflöst. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie das offensichtlich falsche Bewußtsein, das sich in solcher Rede ausdrückt, überhaupt zustande kommt. Und was denn - wenn es so offenbar falsch ist – die Verbreitung und Wirkmächtigkeit dieses Bewußtseins ausmacht.

Wie kommt es, daß so viele sich als weltoffen und aufgeklärt empfindende Zeitgenossinnen und –genossen sich ihrem eigenen Denken gegenüber so unaufgeklärt zeigen? Daß sie vor den Widersprüchen dieses ihres eigenen Denkens die Augen verschließen? Daß sie nicht wissen, was sie sagen?

Daß die Falschheit der Aussage „Ich respektiere den Islam“ leicht durchschaubar sein müßte, in aller Regel aber nicht durchschaut wird - dieser Zusammenhang verdient unsere besondere Beachtung. Weist er doch auf den dringenden Wunsch vieler moderner, demokratisch gesinnter Subjekte hin, an deren Wahrheit zu glauben. Zu glauben - als moderne, demokratisch gesinnte Subjekte - „den Islam“ respektieren zu können (und nicht nur einen Islam, der seinerseits Demokratie, Aufklärung und Moderne respektiert, so daß sich jene Respektbezeugung in ihr Gegenteil verkehrt). Und es spricht für die Stärke jenes Wunsches, daß er es möglich macht, diesen Glauben seiner Absurdität zum Trotz aufrechtzuerhalten.

Ein Glaube, der sich aus einem starken Wunsch speist, ist seinerseits stark, so daß wir, in Abwandlung des Tertullian zugeschriebenen Diktums „Credo quia absurdum“ („Ich glaube, gerade weil es absurd ist“) (2), sagen können: Gerade weil die Behauptung jener modernen, demokratisch gesinnten Zeitgenossen, sie würden (als moderne, demokratisch gesinnte Zeitgenossen) „den Islam“ respektieren, offenkundig absurd ist, gerade dieser Absurdität wegen, müssen wir hinter jener Behauptung einen – starken - Glauben annehmen.

Oder anders: Gerade weil er absurd ist, ist dieser Respekt eigentlich - ein Glaube.

wird fortgesetzt

(1) Apostasie ist der Abfall vom Glaube, ein Apostat ein Abtrünniger, vom Glauben Abgefallener.

(2) Das geflügelte „Credo quia absurdum“ ist seinerseits die Abwandlung eines Satzes aus Tertullians Streitschrift De Carne Christi (Über den Leib Christi): Et mortuus est Dei Filius, prosus credibile est, quia ineptum est. (Gestorben ist Gottes Sohn; es ist ganz glaubhaft, weil es ungereimt ist.)

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