Mittwoch, 18. Februar 2015

Vögeln ist schön - warum wir aber nicht fliegen (4)


Afrikanischer Totem

Pfaller faßt Sublimierung nicht als Nutzbarmachung sexueller Triebenergien für „höhere, kulturelle Ziele“ auf, sondern als die Umwandlung eines bestimmten (Trieb)objekts qua Kultur in etwas Sublimes – und somit „genießbares“.

Den Prototyp dieser lust-gestattenden - bzw. -gebietenden - Funktion der Kultur finden wir wiederum bei Freud, der in Totem und Tabu die Totemmahlzeit als einen „gebotene[n] Exzeß1 bezeichnet: Das Totemtier, dessen Töten und Verzehr unter normalen Bedingungen strengstens untersagt ist, wird, so Freud, „bei feierlichem Anlasse auf grausame Art getötet und roh verzehrt. Nach der Tat wird das hingemordete Tier beweint und beklagt [...] Aber nach dieser Trauer folgt die lauteste Festfreude, die Entfesselung aller Triebe und die Gestattung aller Befriedigungen.2

Und dann:

Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil die Menschen infolge irgendeiner Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie die Ausschreitungen, sondern der Exzeß liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des bisher Verbotenen erzeugt. (Hervorhebung von mir)“3

Für Freud repräsentiert das Totemtier den Urvater, einst absoluter Herrscher über die Urhorde, und – nach der Vertreibung seiner Söhne – alleiniger Besitzer aller Frauen. „Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Söhne zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater4, um nun ihrerseits in die Position des Urvaters – und in den Besitz seiner Frauen zu gelangen.

Dieses ihr „Triebziel“ mußte die Revolution der Söhne aber natürlich verfehlen – oder sie erreichte es nur partiell. Nicht bloß, weil nur einer der Söhne die Position des Vaters hätte einnehmen können. Nach dem Mord (am nicht nur verhaßten, sondern auch beneideten und bewunderten Vater) wurde die Schar der Brüder von Schuldgefühlen und von Reue überwältigt. „Der Tote wurde nun stärker als der Lebende gewesen war5. Er wurde zu Gott – der, so betrachtet, immer schon tot gewesen ist, erst als Toter zu „funktionieren“ beginnt. „Wenn Gott tot ist“, sagt Lacan, „ist alles verboten“.

Der Mord am Urvater ist für Freud jedenfalls eine 

Tat, mit welcher so vieles seinen Anfang nahm, die sozialen Organisationen, die sittlichen Einschränkungen und die Religion6 

– anders gesagt: Die Kultur.

In der Kultur ist aber nicht bloß das Verbot enthalten, sondern auch jenes Aufbegehren, das zur Revolution gegen den Urvater führte. 

In der Totemmahlzeit (im Fest, im Ritual) kommt beides zum Ausdruck: Gedenken und Wiederholung. Das reuevolle Gedenken an den Ermordeten ermöglicht die anschließende - triebbefreiende - Wiederholung des Mordes.

wird fortgesetzt

(1) Sigmund Freud, Totem und Tabu. In ders., Gesammelte Werke, Bd IX, Frankfurt am Main 1999, S. 170

(2) Ebd. S. 169

(3) Ebd. S. 170

(4) Ebd. S. 171

(5) Ebd. S. 173

(6) Ebd. S. 172

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