Freitag, 27. Februar 2015

2. März 2015, hinterland galerie, Wien: "Vögeln ist schön - können wir noch fliegen?"


Montag, 2. März 2015, 19.00 Uhr: 

"Vögeln ist schön - können wir noch fliegen?" 

Buchpräsentation in der hinterland galerie, Wien, Krongasse 20, 1050 Wien.

Mit der Buchautorin Ulrike Heider ("Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt"). 

Einleitung: Helmut Daher

Walter Fanta liest aus seinem - in Entstehung begriffenen - "Jakobsroman".

Eintritt frei

Mittwoch, 25. Februar 2015

Vögeln ist schön – warum wir aber nicht fliegen (5)


Urhorde
In der Kultur ist aber nicht bloß das Verbot enthalten, sondern auch jenes Aufbegehren, das einst zur Revolution gegen den Urvater führte. In der Totemmahlzeit - im Ritual/ in der Kultur - kommt beides zum Ausdruck: Gedenken und Wiederholung: Das reumütige Gedenken an den Ermordeten ermöglicht die daran anschließende, symbolische und triebbefreiende Wiederholung des Mordes. Eine Reinszenierung, die den triebfeindlichen Aspekten der Kultur, eben jener Reue und Schuld, entgegenwirken soll, damit sie uns nicht (ganz) überwältigen.

Hier haben wir es mit jener Nahtstelle zwischen Subjekt und Gesellschaft zu tun, die Adorno im Blick hatte, als er davon sprach, daß Freud, der

„die Soziologie [...] als angewandte Psychologie verstanden wissen wollte, [...] paradoxerweise in den innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches wie das Inzestverbot [und] die Verinnerlichung [...] primitiver Hordenformen gestoßen ist.“1

Sollte es sich bei archaischen Formationen, wie der in den „innersten psychologischen Zellen“ – also im Unbewußten - verinnerlichten Urhorde, um Gesellschaftliches handeln, dann hätten wir es mit einem in der Gesellschaft gegenwärtigen Archaischen zu tun. Genauer: mit der immer wiederkehrenden, unbewußten Reproduktion des Archaischen in der Gesellschaft. Die vielen Varianten der triebbefreienden Funktion der Kultur (in Ritual, Spiel, Kunst, Religion, Gesetz ...), folgten dann - als symbolisch verdichtete Wiederholung jenes Ur-Mordes - einem historisch-gesellschaftlichen Wiederholungszwang.

Die symbolische - triebbefreiende - Wiederholung jener Ur-Revolution in der Kultur steht aber (und das mag auch für Revolutionen im üblichen Sinn gelten) noch in einem anderen Entstehungszusammenhang, und hat noch eine andere Funktion als die, den triebunterdrückenden Kräften der Kultur entgegenzuwirken: Die Revolution gegen den Urvater mußte scheitern, zum einen, weil nicht alle Brüder zum „neuen Urvater“ werden konnten. Und weil es einige, andererseits, sehr wohl werden konnten. Schließlich muß der Urvater selbst irgendwann einmal Sohn gewesen sein.

Demnach kommt als weitere Entstehungsquelle triebbefreiender (resp. -gebietender) Institutionen in der Kultur zum einen die – im oben genannten Sinn „archaische“ - Sehnsucht nach dem vollen, nur dem Urvater zustehenden Genuß in Betracht. Zum anderen der Neid der Beherrschten auf den - vermeintlichen – vollen Genuß der Herrschenden, der „neuen Urväter“.

wird fortgesetzt

(1) Theodor W. Adorno, Soziologische Schriften I. In: ders., Gesammelte Schriften, Bd 8, Frankfurt am Main. 2003, S. 88

Mittwoch, 18. Februar 2015

Vögeln ist schön - warum wir aber nicht fliegen (4)


Afrikanischer Totem

Pfaller faßt Sublimierung nicht als Nutzbarmachung sexueller Triebenergien für „höhere, kulturelle Ziele“ auf, sondern als die Umwandlung eines bestimmten (Trieb)objekts qua Kultur in etwas Sublimes – und somit „genießbares“.

Den Prototyp dieser lust-gestattenden - bzw. -gebietenden - Funktion der Kultur finden wir wiederum bei Freud, der in Totem und Tabu die Totemmahlzeit als einen „gebotene[n] Exzeß1 bezeichnet: Das Totemtier, dessen Töten und Verzehr unter normalen Bedingungen strengstens untersagt ist, wird, so Freud, „bei feierlichem Anlasse auf grausame Art getötet und roh verzehrt. Nach der Tat wird das hingemordete Tier beweint und beklagt [...] Aber nach dieser Trauer folgt die lauteste Festfreude, die Entfesselung aller Triebe und die Gestattung aller Befriedigungen.2

Und dann:

Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil die Menschen infolge irgendeiner Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie die Ausschreitungen, sondern der Exzeß liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des bisher Verbotenen erzeugt. (Hervorhebung von mir)“3

Für Freud repräsentiert das Totemtier den Urvater, einst absoluter Herrscher über die Urhorde, und – nach der Vertreibung seiner Söhne – alleiniger Besitzer aller Frauen. „Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Söhne zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater4, um nun ihrerseits in die Position des Urvaters – und in den Besitz seiner Frauen zu gelangen.

Dieses ihr „Triebziel“ mußte die Revolution der Söhne aber natürlich verfehlen – oder sie erreichte es nur partiell. Nicht bloß, weil nur einer der Söhne die Position des Vaters hätte einnehmen können. Nach dem Mord (am nicht nur verhaßten, sondern auch beneideten und bewunderten Vater) wurde die Schar der Brüder von Schuldgefühlen und von Reue überwältigt. „Der Tote wurde nun stärker als der Lebende gewesen war5. Er wurde zu Gott – der, so betrachtet, immer schon tot gewesen ist, erst als Toter zu „funktionieren“ beginnt. „Wenn Gott tot ist“, sagt Lacan, „ist alles verboten“.

Der Mord am Urvater ist für Freud jedenfalls eine 

Tat, mit welcher so vieles seinen Anfang nahm, die sozialen Organisationen, die sittlichen Einschränkungen und die Religion6 

– anders gesagt: Die Kultur.

In der Kultur ist aber nicht bloß das Verbot enthalten, sondern auch jenes Aufbegehren, das zur Revolution gegen den Urvater führte. 

In der Totemmahlzeit (im Fest, im Ritual) kommt beides zum Ausdruck: Gedenken und Wiederholung. Das reuevolle Gedenken an den Ermordeten ermöglicht die anschließende - triebbefreiende - Wiederholung des Mordes.

wird fortgesetzt

(1) Sigmund Freud, Totem und Tabu. In ders., Gesammelte Werke, Bd IX, Frankfurt am Main 1999, S. 170

(2) Ebd. S. 169

(3) Ebd. S. 170

(4) Ebd. S. 171

(5) Ebd. S. 173

(6) Ebd. S. 172

Donnerstag, 5. Februar 2015

Vögeln ist schön – warum wir aber nicht fliegen (3)


Gustave Le Bon
„Warum“, so ein besorgter online-Kommentar in einem Diskussionsforum der iranischen Nachrichtenagentur Fars News, „warum verbieten wir uns selbst, was uns Gott erlaubt hat?“

Ja, warum eigentlich?

Die Ablehnung der Institution der Zeitehe durch weite Teile der iranischen Gesellschaft scheint Freuds zentrale kulturtheoretische These, wonach die Kultur die Triebnatur des Menschen unterdrückt, und seinem Glück daher im Wege steht1, klar zu widerlegen. Die Menschen im Iran, denen „ihre Kultur“ die sexuelle Lust zu erlauben, um  nicht zu sagen, zu gebieten versucht, scheinen um jeden Preis an der Unlust festhalten zu wollen. Etwa als „weiße Eheleute“, die sich für die Monogamie und gegen die - im Rahmen der Zeitehe den Männern gestatteten synchronen, und Männern und Frauen erlaubten seriellen - Polygamie entscheiden, und dabei auch noch das Risiko drakonischer Strafen in Kauf nehmen.

Der Kultur wird in Sigmund Freuds kulturkritischen Schriften allerdings nicht immer nur die Rolle der Triebunterdrückerin zugeschrieben. In Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) ist ausgehend von Gustave Le Bons2 Theorien die Rede davon, daß in der Masse „alle grausamen, brutalen, destruktiven Instinkte [...] zur freien Triebbefriedigung geweckt werden“3. Unter „Masse“ versteht Freud nicht bloß flüchtige, unorganisierte, sondern auch dauerhafte und organisierte Formationen - namentlich das Heer und die Kirche. Heer und Kirche aber sind im Freud’schen Verständnis Institutionen - der „Kultur“.

Triebgewähernd erscheint die Kultur hier aber eben nur in Bezug auf die destruktive Seite unserer Triebnatur - nicht in Bezug auf Sexualität.

In jüngerer Zeit hat Robert Pfaller mit seiner Neuinterpretation des psychoanalytischen Begriffs der Sublimierung gezeigt, daß eine psychoanalytische Kulturtheorie Kultur als eine Instanz zu denken vermag, die sexuelle Triebe nicht immer nur unterdrückt, sondern die ihre Befriedigung  unter Umständen überhaupt erst ermöglicht. Kultur, so Pfaller, habe das Potential,

„ ... Dinge, die [...] anstößig oder abstoßend erscheinen, durch einen Kunstgriff in etwas zu verwandeln, das triumphale Freude bereiten kann.“

und

„aus diesen Dingen etwas Sublimes“ zu machen4.

Pfaller faßt Sublimierung nicht als Nutzbarmachung sexueller Triebenergien für „höhere, kulturelle Ziele“ auf, sondern als die Umwandlung eines bestimmten Triebobjekts qua Kultur in etwas Sublimes – und somit „genießbares“.

wird fortgesetzt


(1) Vgl. Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt am Main 1994

(2) Vgl. Gustave Le Bon, Psychologie der Massen, Stuttgart 2008

(3) Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse. In ders., Gesammelte Werke, Bd XIII, Frankfurt am Main 1999, S. 84 

(4) Robert Pfaller, Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Frankfurt am Main 2008, S. 127