Sonntag, 7. September 2014

Warum wir immer dümmer werden (5)


.... einer, der immer klüger wird: Alexander Kluge


Während jedoch die revolutionären Subjekte, von denen Marx spricht, sich als Gestalten vergangener Epochen kostümierten, „kostümieren“ wir Jihadisten, die uns als Gestalten einer barbarischen Vergangenheit erscheinen, als Zeitgenossen.

Aber: Gerät unsere These vom Abwehrcharakter der Auffassung, der politische Islam sei ein modernes Phänomen (und kein archaisches), nicht sofort ins Wanken, wenn wir sie mit dieser Marxschen Denkfigur konfrontieren? Könnte, was - Marx zufolge - für die französischen Revolutionäre, für Luther, Cromwell etc. gilt, nicht auch für Jihadisten von heute gelten? Daß sie in Wahrheit Zeitgenossen sind, die sich bloß als archaische Gotteskrieger imaginieren und kostümieren? In diesem Fall hätte unsere Denkoperation sie nicht künstlich „zeitgemäß gemacht“, wir hätten sie vielmehr - umgekehrt - aus ihren künstlichen Kostümen befreit. Und in die Gegenwart zurückgeholt.

Wir werden auf diese Frage noch zurückkommen. Zunächst ist uns jene Marxsche Denkfigur aber noch einen Denkanstoß schuldig.

„Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf.“1

Die Beschwörung der „Geister der Vergangenheit“, wie Marx jene Kostümierungen hier - in weiterer Folge - bezeichnet, ist für ihn eine unvermeidliche, aber unerwünschte Nebenwirkung revolutionärer Anstrengungen.

Warum es aber „gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise“, in denen der Blick der revolutionären Massen und ihrer Führer in die Zukunft gerichtet sein sollte, zu dieser eigenatigen Regression in die Vergangenheit kommt, wird nicht klar.

Könnte es nicht sein, daß wir es bei dieser „Regression innerhalb der Progression“ nicht mit einer unerwünschten Nebenwirkung zu tun haben, sondern mit einer wesentlichen - und potentiell sogar „positiv“ aufzufassenden - Voraussetzung jeder großen revolutionären Bewegung? Daß Emanzipation und Fortschritt ohne Regression in die Vergangenheit - und Anrufung ihrer Geister - nicht zu haben sind?

In einem Video-Interview mit dem Wochenmagazin „der Freitag“2 stellt Alexander Kluge eine simple, für unseren Zusammenhang erhellende Überlegung an. Von den drei Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, so Kluge, stünde uns bloß die Vergangenheit zur Verfügung: Die Zukunft existiere nur als Möglichkeit und als Wunsch, die Gegenwart sei ein unfaßbar kurzer, geradezu inexistenter Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft. Bliebe nur – die Vergangenheit. Die Zukunft müsse daher „in den Vergangenheiten enthalten“ sein.

wird fortgesetzt

1 Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Frankfurt am Main 2007, S. 9

2 http://www.dctp.tv/filme/auswege-aus-der-gegenwart

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