Samstag, 29. März 2014

Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft – Plädoyer für Psychoanalyse (4)


Stattdessen stellt die Theoretikerin eine weitere Frage: „Und das Unbewußte?“  Sie habe in den Aussagen des Lösungsorientierten das Wesentlichste - eben das Unbewußte – vermißt. Und sie beginnt, ohne die Reaktion des Kritisierten abzuwarten, von einer Analysandin zu berichten (nennen wir sie Analysandin B - und unsere Analysandin mit dem „Zeitproblem“ Analysandin A), die den starken, für sie selbst und  ihren Analytiker unverständlichen Impuls verspürte, die Analyse vorzeitig abzubrechen. Der Impuls schien umso unverständlicher, da sich die Analysandin gerade in einem schwierigen Trennungsprozeß von ihrem Lebensgefährten befand. Ein Prozeß, der sie verwirrte - und viele Fragen aufwarf, zu deren Klärung die Analyse doch hätte beitragen können.

Es stellte sich aber heraus, daß genau jener Trennungsprozeß von ihrem Lebensgefährten den Impuls, die Analyse zu beenden, ausgelöst hatte. Hätte Analysandin B die Analyse tatsächlich abgebrochen, wäre diesem Abbruch der Charakter einer Ersatzhandlung zugekommen: Statt den Ausstieg aus einer sehr unglücklichen Beziehung zu wagen, aus der sie sich nicht und nicht zu lösen vermochte, hätte sie mit dem Analytiker „Schluß gemacht“.

„Wir haben es hier“, sagt die Theoretikerin, „mit dem typischen Fall einer Übertragung zu tun - einer falschen Verknüpfung, wie Freud sagen würde, zwischen den Schauplätzen Analyse und unglückliche Partnerbeziehung“. Wobei die unglückliche und ambivalente Partnerbeziehung ihrerseits wiederum als Ergebnis der Übertragung der unglücklichen und ambivalenten Vater-Beziehung der Analysandin aufgefaßt werden müsse.

Wesentlich an der Übertragung seien, so die Theoretikerin, also weder „Beziehungsmuster“ noch Gefühle. Diese würden im Fall des skizzierten Übertragungsgeschehens überhaupt keine Rolle spielen.

Hier unterbricht jener von uns der Lösungsorientierte genannte Analytiker die Theoretikerin. Gerade der geschilderte Fall - von dem er nicht wisse, aus welchem Kontext er stamme, aber das möge jetzt dahingestellt sein – zeige, im Gegenteil, daß es in der Übertragung „sehr wohl und sehr zentral“ um Gefühle und um Beziehung ginge. Habe doch die in Frage stehende Analysandin B jene Trennungsaggression, die sie ihrem Lebensgefährten nicht und nicht zumuten konnte, offenbar auf die Beziehung zu ihrem Analytiker übertragen.

„Mitnichten“, sagt die Theoretikerin. Die Haltung der Analysandin dem Analytiker gegenüber könne durchgehend als „milde Idealisierung“ beschrieben werden. Und diese milde Idealisierung habe sich weder während noch nach der Aufklärung der unbewußten Hintergründe des Impulses, die Analyse abzubrechen, verändert. Gegenüber der Person des Analytikers habe die Analysandin keine Sekunde lang so etwas wie Aggression verspürt.

Und auch wenn Beziehungsmuster und Gefühle in anderen Übertragungssituationen eine andere - größere Rolle - spielen sollten als im Fall der Analysandin B, seien Gefühle und Beziehungsmuster für die Übertragung eben nicht das Wesentliche. Der Psychoanalytiker sollte sie als Symptome auffassen, und sich an die Aufklärung ihrer unbewußten Determinanten machen.

Was für den „Analyse-Abbruch-Impuls“ der Analysandin B gelte, so die Theoretikerin, gelte auch für das „Zeitproblem“ der Analysandin A. Wenn diese meine, sie kenne ihr „Zeitproblem“, das ihre Freundinnen zur Weißglut bringe, ihr Unpünktlichsein sei ein Stück Freiheit, sie sei bereit den Preis dafür zu bezahlen etc., gebe sie sich der Illusion hin, ihr Verhalten sei selbstgewählt. Und - es handle sich, wenn sie zur Analyse oder zum Kaffeekränzchen zu spät komme, um eine bewußte Entscheidung. Damit verleugne sie den Symptomcharakter ihres Verhaltens – dessen Abhängigkeit von Faktoren, die ihr selbst nicht bewußt sind.

Indem sie ihr Zuspätkommen zum Kaffeekränzchen mit dem Zuspätkommen zur Analysestunde verknüpfe – vertrete Analysandin A zwar eine Art Übertragungskonzept. Aber ein Übertragungskonzept, das über den Bereich bewußter Vorstellungen und Entscheidungen nicht hinausgehe.

Analysandin A, so die Theoretikerin, und jener Analytiker, den wir den Lösungsorientierten genannt haben, würden somit genau den selben Fehler begehen.

wird fortgesetzt

Montag, 24. März 2014

Zizek in Teheran (71)


Postcolonial Studies

- Denn als Lebens-Ansichten eines Katers laufen politisch-essayistische Gedanken Gefahr, als Parodie aufgefaßt zu werden. Nichts lag dem Übersetzer aber ferner.

- Er eliminierte die Lebens-Ansichten des Katers. Dennoch gelang es ihm, auch ohne den Kater im Text seine Lebens-Ansichten über den

Teheranismus

im Text unterzubringen. Wie willst Du wissen? Aber das - bitte später.

Der Mickey-Text und das Konzept des Teheranismus übte in Teheran, und noch mehr als in Teheran im westlichen Nicht-Teheran, einen fundamentalen Einfluß aus - auf

sog. Linke,
Intellektuelle,
Literar- und
Kulturwissenschafter,
Polit-
und
Geschichtswissenschafter,
FeministInnen.

Und spielte bei der Gründung der Wissenschaft des

Postkolonialismus

eine - um nicht zu sagen d i e entscheidende Rolle.

Zwar schrieben sich die Islamischen vor und nach der Revolution die

Teheranismus-Thesen

des Übersetzers auf ihre Fahnen. Wegen seinen Fernsehserien und Kinofilmen sperrten sie ihn aber ein - nicht ohne Spiel-, Schreib- und Regieverbot.

Tagut

bezeichnet im Islamischen die dritte Stufe des Irrtums. Hingegen

Jagut

die erste und

Nagut

die zweite. Während der

Jaguti

an das Gute glaubt, aber das Schlechte tut, der

Naguti

an das Schlechte glaubt, und es auch tut, glaubt der

Taguti

an das Schlechte, tut es - und oktroyiert es auch noch den anderen auf.

Unmittelbar nach dem Sieg der Islamischen wurde der Übersetzer also eingesperrt - inkl. Spiel-, Schreib- und Regieverbot. Als hätte er im Gefängnis spielen und Regie führen können. Andererseits: Ist alles mögliche möglich. Zumal in Teheran(s Gefängnissen).

Du fragst, warum die Islamischen, als hätten sie nichts dringlicheres zu tun, unmittelbar nach dem Sieg ihrer Revolution den Übersetzer mit einem Spiel-, Schreib- und Regieverbot belegen mußten. Was hatte er anderes getan, als das politisch nicht ganz korrekte Drehbuch von Der Teheraner Postmann in das politisch ganz korrekte von Von Menschen, Tieren und Kräutern umzuschreiben?

Über den Zusammenhang zwischen dem politisch Korrekten und dem Islamischen könnte man tatsächlich räsonieren – Du z.B. könntest ein Traktat darüber verfassen, während der Gefängnisarzt hier, auf der Couch, den ich längst nicht mehr würge, die Geschichte weitererzählt.

Oder: Während ich - während der Gefängnisarzt auf der Couch liegt - die Geschichte weitererzählt. Hörst Du? Während ich, hier, die Geschichte weitererzählt.

Ich - die Geschichte – erzählt. Nein? Rimbaud? Nein?

wird fortgesetzt

P.S.: Das Islamische wird hier als Hauptwort verwendet. Genauso wie das Politisch Korrekte. Sofort sagt das Politisch Korrekte: D a s Islamische gibt es nicht! Nein. Ich ist ein anderer, d a s Islamische sind in Wahrheit v i e l e. Das liberale Islamische, und das friedliche, und bosnische und das reformerische und überhaupt. Ist, das Islamische zu sagen, essentialistisch – und politisch unkorrekt. 

Und? Was lernen wir? Je mehr desto nichts.

Samstag, 22. März 2014

Warum uns Psychotherapie nicht weiterhilft – Plädoyer für Psychoanalyse (3)



Aber ich greife vor: Unsere Intervisionsgruppe wäre keine psychoanalytische, wenn es in der Diskussion über das Zeitproblem der Patientin (und unseres Analytikers) nicht bald um zwei psychoanalytische Grundbegriffe gehen würde: Widerstand und Übertragung.

Die Gruppe hat seit einigen Monaten ein neues Mitglied: Eine Soziologin - oder Politologin? Oder Philosophin? Diesbezüglich gehen die Meinungen der Alteingesessenen in der Runde auseinander. Keine/r traut sich, einfach nachzufragen. Die Neue scheint unnahbar, darin ist man sich einig.

Die Neue arbeitet nicht als Psychoanalytikerin, sie soll nicht einmal über psychoanalytische Selbsterfahrung verfügen. Dafür scheint sie alles über die Theorie der Psychoanalyse zu wissen. Ihre Theoriekenntnisse, nicht zuletzt ihre Kenntnisse der Texte Freuds, übertreffen, wie die Gruppe bald und mit gemischten Gefühlen feststellen muß, die der Praktizierenden in der Runde bei weitem. 

Nennen wir sie die Theoretikerin.

Immer wieder konfrontiert die Theoretikerin unsere Gruppe mit Fragen über Grundbegriffe der Psychoanalyse, deren Bedeutung einem Analytiker, wie man glauben möchte, geläufig sein müßte - und die alle mit der Formel Was ist ... (Verdrängung, Projektion, Sublimierung etc.) beginnen. Die Antworten der Alteingesessenen pflegt sie mit kleinen, mittlerweile gefürchteten, Suaden zu quittieren, die sie alle mit dem Wort „Mitnichten“ einleitet.

Die Diskussion über unsere Patientin und ihr „Zeitproblem“ dreht sich also bald um die psychoanalytischen Grundbegriffe Widerstand und – Übertragung. Und auch diesmal läßt die Theoretikerin mit der Frage Was ist - Übertragung? nicht auf sich warten.

Die Antworten kommen zögerlich und spärlich, aber sie kommen. Übertragung bezeichne jene Gefühlsreaktionen der Analysandin (des Analysanden) auf die Analytikerin (den Analytiker), die eine Neuauflage früherer, kindlicher Erfahrungen und Reaktionen darstellten. Dabei übertrage die Patientin (der Patient) Beziehungsmuster und Gefühlsreaktionen aus der Kindheit auf die Beziehung zur/zum Analytiker/in - und wiederhole sie somit. Ähnlich wie sie jene frühen Reaktionen und Muster auch auf andere zwischenmenschliche Situationen übertrage (in der Partnerschaft etwa oder am Arbeitsplatz), und sich so immer wieder – und mit je verschiedenen Darstellern - im gleichen (schlechten) Film wiederfinde.

Indem sie diesen schlechten Film nun aber auch in der Beziehung zum Analytiker wieder erlebe, würden jene stets wiederkehrenden und problematischen Beziehungsmuster in der Analyse bearbeitbar – die Analysandin (der Analysand) habe die Chance auf eine korrektive Erfahrung.

Nachdem die Runde also geantwortet hat – genau genommen hat nur einer geantwortet, ein Analytiker, den wir den Lösungsorientierten nennen wollen, und auf den wir noch zurückkommen werden - warten alle auf das unvermeidliche „Mitnichten“ – das aber ausbleibt. 

Stattdessen stellt die Theoretikerin eine weitere Frage: Und das Unbewußte?

wird fortgesetzt

Mittwoch, 5. März 2014

Die Welt schreibend erkunden



8. April 2014, 19 Uhr,
Republikanischer Club – Neues Österreich,
Rockhgasse 1, 1010 Wien

Das Erstaunen über die kreative Transformation der Welt hin zum Individuellen und gleichsam Exemplarischen in der Literatur ist von Generation zu Generation gleich, das Resultat dieser Transformation jedoch immer ein anderes. Drei junge Autorinnen, die in der "Zwischenwelt. Zeitschrift für Kultur des Exils und des Widerstands" publizieren, stellen ihre Texte vor: poetisch, berührend, irritierend, aktuell…

Autorinnen: Anja Braunwieser, Ina Ricarda Kolck-Thudt, Sophie Zehetmayer
Einleitung und Moderation: Vladimir Vertlib