Samstag, 25. Januar 2014

Zizek in Teheran (67)


'Endlich!', titelte der Keyhan, 'Der neue Film denkt positiv'
Der alte Gutsherr will Schweine produzieren, der junge Rinder und das Liebespaar, das die sexuell Unzufriedene mit dem Ingenieur bildet, produziert: Wind. Welchen der Teheraner Postman (ab)bekommt.

Am Ende ersticht, wie nicht anders zu erwarten, der sexuell Impotente die sexuell Unzufriedene, er habe nichts außer sie, und legt sich auf sie.

„Als erstes listete der Übersetzer die politisch nicht ganz korrekten Aspekte des Originaldrehbuchs des Teheraner Postmanns auf:

- perspektivlos
- nicht lösungsorientiert
- also hoffnungslos
- die Frau zu sehr als Opfer dargestellt
- zudem als Objekt,
- der Mann zu sehr als Opfer dargestellt
- zudem als Subjekt

Nicht zuletzt sei, aus der Sicht des politischen Korrekten, der Kräuter- und Tiermediziner viel zu negativ dargestellt - als Teil des Problems, nicht als Lösung.

Dann schrieb er es um, von politisch nicht ganz - auf politisch ganz korrekt: Der heilpraktizierende Tiermediziner und Scharlatan rettet die Ehe und das Leben der Unzufriedenen, indem er dem Postmann vorgaukelt, er, der Scharlatan, habe seiner, des Postmanns, unzufriedener Frau den Hof gemacht, und nicht der Ingenieur, der habe ohnehin die deutschsprachige Dralle. Er, der Scharlatan, habe der Frau den Hof gemacht, aber vergeblich, die Unzufriedene sei komplett keusch.

So rettet im neuen, politisch korrekten Drehbuch der Kräutermediziner die Ehe des Postmanns, und das Leben der Frau, indem er sich beinahe opfert, denn der Postmann will ihn sogleich erschießen, mit einer Waffe, die sich aber – Gott-sei-Dank, sagte der Übersetzer und grinste – als nicht geladen erweist.

In weiterer Folge rettet sich aber die Frau aus der Ehe mit dem Postmann, und öffnet, zusammen mit dem Scharlatan, eine Kombination aus Gemüsegeschäft und Gemüse-Apotheke. Der Postmann wird in der Kräuterpsychiatrie therapiert und geheilt, nicht von der Impotenz – das wäre utopisch, und politisch daher unkorrekt - aber von seinem Begehren. U.a. lernt er auf das Fleisch komplett zu verzichten - und somit auf das Fleischliche. Ob, wann und wie die sexuell Unzufriedene und der Kräutermediziner eine sexuelle Beziehung aufnehmen (und ob diese die Unzufriedene zufrieden zu stellen vermag), bleibt offen.“

Wie nicht anders zu erwarten, gewinnt das politisch korrekte Drehbuch des Übersetzers den ersten Preis des Drehbuchwettbewerbs. Es wird verfilmt und der Film mit dem Titel Von Menschen, Tieren und Kräutern (bei dem der Übersetzer selbst Regie führt sowie die Rollen des Postmanns und des Scharlatans spielt) wird ein Riesenerfolg. ‚Endlich!’, titelt die auflagenstärkste Tageszeitung Teherans, der Keyhan, ‚Endlich! Der neue Film denkt positiv’.

wird fortgesetzt

Donnerstag, 23. Januar 2014

Zizek in Teheran (66)


... und indem sich die Impulse den Gefängnisarzt,

erstens, zu umarmen 

und, zweitens, den Gefängnisarzt zu würgen,

überschlagen, wie Ereignisse, bin ich gelähmt. Bleibe sitzen. Und schweige. 

„Und weil es ihn ärgerte, wie die JurorInnen zu ihrer Entscheidung gekommen waren, beschloß er, selbst einen grottenschlechten, jedoch politisch korrekten Text zu verfassen, über die sexuelle Unzufriedenheit einer Teheraner Frau aus der Sicht einer Teheraner Frau, und ihn einzureichen. Weil der nächste Teheraner Literaturwettbewerb aber erst eineinhalb Jahre, der nächste Teheraner Drehbuchwettbewerb schon eine halbes Jahr später stattfinden sollte, beschloß er (er sei in jungen Jahren äußerst ungeduldig gewesen), statt eines grottenschlechten, politisch korrekten literarischen Textes, ein grottenschlechtes, politisch korrektes Drehbuch zu schreiben - über die sexuelle Unzufriedenheit einer Teheraner Frau aus der Sicht einer Teheraner Frau, und ihn beim Drehbuchwettbewerb einzureichen. Aber wie schreibt man ein Drehbuch?

Damals war in Teheran der Film

Der Teheraner Postmann (1971)

in aller Munde - nicht zu verwechseln mit

The Postman Always Rings Twice (1981)

und auch nicht mit

Il Postone (1994).

Der Teheraner Postmann handelt von der sexuellen Unzufriedenheit einer Teheraner Frau - aus der Sicht ihres Teheraner Mannes. Des Postmanns. Der die Ursache ihrer sexuellen Unzufriedenheit bildet. Er ist impotent. Sie leben auf dem Lande.“

Somit sind wir bei Ihrem Problem, müßte ich sagen - ich meine die Impotenz, LeserIn, nicht das Leben auf dem Lande.

„Der Übersetzer, der sich nicht sonderlich für das Kino interessierte, besorgte sich das Drehbuch des Postmanns, ich weiß nicht woher, und schrieb es um. Von politisch nicht ganz auf politisch ganz korrekt, woraus sich die Grottenschlechtigkeit von selbst ergab.“

Im Originaldrehbuch lebt und arbeitet der Postmann auf dem Lande, neben seinem Job bei der Post, für einen schweineproduzierenden Gutsherrn. Die Schweine sind von einer Seuche bedroht, die der Tierarzt, ein heilpraktizierender Scharlatan und Alternativmediziner, zu bekämpfen versucht. Natürlich ohne Erfolg. Auch die Impotenz des Teheraner Postmanns will der Tierarzt und heilpraktizierende Alternativmediziner natürlich kurieren (natürlich, LeserIn, heißt hier: auf natürlichem Wege, und nicht selbstverständlich), mit Kräutern, und natürlich ohne Erfolg.

Der Neffe und Erbe des Großgrundbesitzers, ein Ingenieur, und jung, kehrt aus dem deutschsprachigen Ausland, wo er studiert hat, zurück - mit einer deutschsprachigen Drallen, in einer Szene mit nacktem Oberkörper zu sehenden - und will (der Neffe, LeserIn, nicht die deutschsprachige Dralle) die Schweineproduktion seines Onkels auf Rinder umstellen. Aus Rücksicht auf die Teheraner Kultur, wie er sagt. Das Rücksichtnehmen auf fremde Kulturen habe er im deutschsprachigen Ausland gelernt.

Der Ingenieur beginnt eine Affäre mit der sexuell unzufriedenen Teheraner Frau des Teheraner Postmanns, welche mitunter freizügig gekleidet, nicht aber mit nacktem Oberkörper zu sehen ist, wie die Deutschsprachige, dennoch aber, oder gerade deshalb, scheint ihr der Ingenieur den Vorzug zu geben. Sie beginnen also eine Affäre, von der der Postmann Wind bekommt - versuch Dir das bildlich vorzustellen, LeserIn: Der Postmann bekommt - Wind. Der alte Gutsherr will Schweine produzieren, der junge Rinder und das Liebespaar, das die sexuell unzufriedene Teheraner Frau mit dem Ingenieur bildet, produziert: Wind. Welchen dann der Teheraner Postman (ab)bekommt.

wird fortgesetzt

Samstag, 11. Januar 2014

Zizek in Teheran (65)


Wir trafen uns am Teich
Du fragst, wie eine solche Geschichte mittels - auf Papierstückchen verfaßte - Botschaften in Kugelschreibern erzählt werden kann. Das frage ich mich auch.

„Das kann ich auch, sagte der Übersetzer. Einen grottenschlechten, politisch korrekten Text abzufassen, über die sexuelle Unzufriedenheit einer Teheraner Frau aus der Sicht einer Teheraner Frau beispielsweise – und ihn bei einem Literaturwettbewerb einzureichen – mal sehen.“

- Das hat er alles auf - um Kugelschreibermienen gewickelte - Papierfetzen mitgeteilt? Wo hatte er die ganzen Kugelschreiber her?

Seit ich ihn nicht mehr würge, scheint der Gefängnisarzt guter Dinge zu sein. Er lacht.

„Nein. Nach der dritten oder vierten Kugelschreiber-Botschaft bestellte ich ihn in mein Büro. Zwar war ich nicht zuständig für ihn (nach welchen Gesichtspunkten sie die Zuständigkeit für einen Häftling festlegen, entzieht sich meiner Kenntnis und interessiert mich auch nicht. Gut möglich, daß es keine Gesichtspunkte gibt, die Häftlinge vielmehr zufällig zugeteilt werden. Ich betreue jedenfalls sowohl gewöhnliche als auch politische Gefangene). Zwar war ich also nicht zuständig, aber daß ein Häftling ins Büro eines Nicht-Zuständigen bestellt wird, ist nicht ungewöhnlich. Wohl deshalb, weil die Gefängnisoberen nichts gegen Aufträge haben, sie im Gegenteil, wie gesagt, insgeheim fördern.
Ich bestellte also den Übersetzer ins Büro. Er kam, lächelte. Auf meine Fragen schwieg er. Schließlich übergab er einen Kugelschreiber. Zum letzten Mal. Darin lud er mich für den folgenden Abend zu einem Spaziergang im Gefängniswald ein.

Wir trafen uns am Teich. Er begrüßte mich. Namentlich. Er sei ein Verehrer des Vaters. Seine Stimme war die Stimme von Kardan. Nur belegt. Meine Stimme versagte. Er war das Idol meiner Kindheit.“

Auch das meiner. Ich will den Gefängnisarzt umarmen, aber Analytiker tun das nicht, LeserIn, siehe unter: Würgen – nur fällt mir wieder ein, daß der

Übersetzer = Kardan = Der Elektrische

tot ist. Hingerichtet von den Schergen dieses Regimes, und indem sich der Impuls den Gefängnisarzt 

1. zu umarmen 

und der Implus den Gefängnisarzt 

2. zu würgen

überschlagen, als seien sie Ereignisse, bin ich gelähmt.

wird fortgesetzt

Mittwoch, 8. Januar 2014

Zizek in Teheran (64)


Literaturwettbewerb
Kardan ist tot, rufe ich, elektrisch hingerichtet! Ich brülle. Und erhebe mich. Um mich auf den Gefängnisarzt zu stürzen, schon wieder (der schützend die Hände hochhebt). Als sei er der Mörder.

Aber weder stürze ich noch würge. So etwas tun wir Analytiker nicht. Würde und Würge. Vertragen. Und reimen sich nicht (wirklich). Ja, ja - ich habe bereits (gewürgt), ich weiß, eh den Gefängnisarzt, das war aber ein politischer Akt. Ich bin ein politisch Verfolgter diese Regimes, schon vergessen? Schau nach, oben, unter: Polizeiambulanz. Ich politisch Verfolgter – und der Gefängnisarzt Agent des Regimes. Obwohl - desto weniger Agent je mehr er erzählt. Wollen wir ihm Glauben schenken, LeserIn? Vergessen wir nicht: (Islamischer) Geheimpolizist und (islamischer) Oppositioneller wechseln im islamischen Regime schnell einmal den Platz. Wenn sie nicht gerade simultan beide Plätze einnehmen.

Ich setze mich wieder auf den Analytikersessel und lassen wir den Gefängnisarzt reden. Lieber nicht. Ist uns doch sein Reden suspekt, (von wegen: Desto weniger Agent ­je mehr er erzählt). Mit dem Wortlaut seines Redens werde ich Dich bis auf weiteres verschonen. Nicht aber mit dem Laut meiner Worte (und zum Ausgleich dafür, daß seine Worte mitunter umständlich sind, sind die folgenden Stichworte):

- Der zweite Kugelschreiber, den der Übersetzer dem Gefängnisarzt überreicht, enthält die nächste Botschaft:

Ich will nichts als übersetzen.

Da-, resp. seither heißt der Übersetzer Der Übersetzer.

- Im nächstfolgenden, i.e. dritten Kugelschreiber verlangt der Übersetzer ein Diktiergerät. Den ihm der Gefängnisarzt auch besorgt. Ohne zu wissen, wozu der Übersetzer das Diktiergerät braucht, noch, warum er es ihm besorgt (auch wenn der Gefängnisarzt im Gefängnis Narrenfreiheit genießt, wegen seiner Verbindung zu Namwar, mit einer solchen Aktion, wäre sie denn aufgeflogen, hätte er sich gefährden können).

- Bzw. er weiß schon warum: Der Elektrische, der sein Haus auf den Schultern trägt, TV-Serie er 70er Jahre, sein Haus: Ein roter alter Mercedes. Mit  Schrägdach. Der Elektrische, LeserIn, ist das Idol seiner Kindheit – wie auch meiner – siehe oben. Obwohl der Gefängnisarzt jünger sein müßte als ich.

- Später: Der Gefängnisarzt sieht den Übersetzer, wie er im Lesesaal (der Bibliothek mit der Aussicht auf Teheran wie aus dem Flugzeug) sitzt, liest - und ins Diktiergerät spricht. Wir folgern: Der Übersetzer übersetzt.

- Nach und nach (mittels weiterer Kugelschreiberbotschaften) offenbart der Übersetzer dem Gefängnisarzt, daß er

- nie Drehbuchautor werden wollte, immer Schriftsteller.

- Daß er in jungen Jahren nur zufällig Drehbauchautor geworden war.

- Durch eine, so der Gefängnisarzt, Preisverleihungsgeschichte.

– Und die geht so:

In jungen Jahren hatte Kardan, resp. der Übersetzer, beim interkulturellen und kulturkritischen Literaturwettbewerb:

Unbehagen zwischen den Kulturen

einen Text eingereicht. Und den zweiten Preis erhalten. Später hatte er durch Zufall erfahren, Teheran ist klein, daß vier (von fünf) JurorInnen der Jury des Literaturwettbewerbs seinem Text den ersten Preis hätte zusprechen wollten. Die fünfte jedoch, eine Teheraner Feministin, hätte Kardans Text für rassistisch gehalten. Weil in ihm das Wort Neger vorgekommen sei. Und zwar im folgenden Satz: Ich hasse das Wort Neger und verwende es nie. Weiters sei im Text das Wort Hure vorgekommen, so daß die Teheraner Feministin, eine Sängerin, sich genötigt gesehen hätte, den Text als antifeministisch zu empfinden. Und hätte gesagt: Ein solcherart rassistischer und antifeministischer Text verdiene überhaupt keinen Preis, schon gar nicht den ersten. Als Kompromiß hatte ein, so der Gefängnisarzt, grottenschlechter politisch jedoch grottenkorrekter Text (die Schilderung der sexuellen Unzufriedenheit einer Teheraner Frau aus der Sicht einer Teheraner Frau), in dem die Worte Hure und Neger nicht vorgekommen seien, den ersten Preis erhalten - und Kardans Text den zweiten. Du fragst Dich natürlich, LeserIn, wie eine solche Geschichte in auf Papierstückchen verteilte Kugelschreiber-Botschaften erzählt werden kann.

wird fortgesetzt