Freitag, 11. Oktober 2013

Zizek in Teheran (57)



Aus dem Bericht des Gefängnisarztes

[...]

Ich begegnete dem Übersetzer im Wald, d.h. im - großen - Gefängnishof. Das Gefängnis befindet sich im Norden von Nord-Teheran, an den Hängen des Elburs, in einem Kiefernwald. Vater hat das Gefängnis in den Wald und den Wald in das Gefängnis integriert, indem er ein Stück des Waldes im Gefängnishof stehen und von jugendlichen Delinquenten Baumhauszellen bauen ließ, die sie anschließend bewohnten. Zusammen mit den - in den Gefängnishof, d.h. in den Wald, hineinragenden - Schubladen- und Rucksackzellen sowie den künstlichen Inseln im großen künstlichen Teich im Wald des - großen - Gefängnishofes, bilden die Baumhauszellen die in der Weltarchitektur bekanntlich bekanntesten Gebäudeteile der Anstalt. Am bekanntesten ist das Baumhaus mit der Spiegelfassade: Eine Haut aus Spiegelglas überzieht nahtlos Fenstern, Türe, Oberlichte und die übrigen Flächen der Außenwand.

Die Schubladenzellen hatte Vater gebaut, weil im Sommer in Teheran das Schlafen auf Dächern sehr üblich ist. Vater hatte es sich zum Grundsatz gemacht, daß es den Häftlingen im Gefängnis nicht schlechter gehen sollte als draußen, in der Freiheit, sie sollten die Möglichkeit haben, nachts im Sommer auf den Dächern der Anstalt zu schlafen - sein entsprechender Antrag war von der entsprechenden Abteilung im Justizministerium jedoch abgelehnt worden.

So war die Idee der Schubladenzellen entstanden (Vater selbst vermied das Wort Zelle, er sagte Schubladenraum oder nur: Schublade). Eine Schubladenzelle ist eine aus dem Gebäude, wie eine Schublade, mittels Elektromotor ausfahrbare Zelle, die sich so in eine Balkonzelle verwandelt. Man müßte  Balkonkäfig sagen, denn sie ist von allen, in den Gefängnishof hineinragenden, Seiten - und oben - vergittert.

Drei Jahre nach der Fertigstellung des Habitat, als das Gefängnis unmittelbar nach der Revolution aus allen Nähten zu platzen drohte, hatte Vater sechs zusätzliche Zellen - wie Rucksäcke - vor sechs Fenstern zum großen Gefängnishof hängen lassen. Die Rucksackzellen hängen an Stahlseilen, die, zweimal umgelenkt, über das Dach des Gebäudes verlaufen und in der straßenseitigen Fassade verankert sind.

Die künstlichen Inseln im künstlichen Teich des Gefängnishofwaldes haben einen rein ästhetischen Zweck, Vater nannte sie meine - oder auch eine - Spielerei.

Ich begegnete dem Übersetzer im Wald, in der Betonlichtung. Beim Tai Chi. Tai Chi ist einmal die Woche. Der Sportwart war krank, angeblich, ich vertrat ihn, er ist wahrscheinlich nebenbeschäftigt.

wird fortgesetzt

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