Montag, 25. März 2013

Zizek in Teheran (36)

Der Gefängnisarzt ein Agent der Behörden? Mein Analysand? Hat er mich verpfiffen? Ist er abhanden gekommen, um mich zu verpfeifen? Was gibt es bei mir zu verpfeifen? Er hat die Schrift zu verbreiten versucht. Indem er sie immer wieder rezitierte. Statt zu assoziieren. Ich bin Analytiker. Ich werde ihn verpfeifen.

Aber wenn er ein Verbreiter der Schrift ist, kann er nicht islamischer Geheimpolizist sein. Wenn auch humanistisch gebildet.

Und warum nicht?

Der Gefängnisarzt, Analysand und islamisch-humanistischer Geheimpolizist, fährt fort, Ovid zu (re)zitieren. Mit dem ganzen Pathos Teherans. Fama. Metamorphosen, Buch 12:

Fama erkor sich die Statt und wohnt in der obersten Feste.
Tag und Nacht ist es offen, und ganz aus tönendem Erze
               Hallet es ganz und erwidert den Laut, das Gehörte verdoppelnd.

Was die Schrift betrifft
, gibt es die Verfasser, die Verbreiter unddie Mitwisser. Als er Mitwisser sagt nimmt mich Nehru noch schärfer ins Visier als ohnehin schon. Und mit dem ganzen Pathos von Teheran. Wie der Gefängnisarzt.

Was ist die Schrift?

Nehru lächelt. Sehr franziskanisch.

Sie wissen, und wir wissen, daß Sie wissen, und Sie wissen, daß wir wissen, daß Sie –

Sehr Süditalienisch.

Was interessiert Euch an der Schrift?

Sagen wir: Die Schrift interessiert sich für uns?

Sagt Nehru.

Und der Gefängnisarzt nickt.

In der Tiefe des Raumes hüpft die Snack. Auf und ab. Damit ich sie sehe. Trotz der aus Nehru und den Immerkleinerwerdenen bestehenden Mauer. Die Snack ist klein. Ich mag das. Sie will mir etwas bedeuten, beachte die Doppeldeutigkeit, LeserIn, von Sie will mir etwas bedeuten, indem sie die Hände auf und abbewegt, und ihre Lippen seltsame Formen formen, geradezu obszön, will die Snack mir etwas bedeuten. Die Bewegungen ihrer Hände und ihrer Lippen sind nicht pathetisch. Sondern dringlich.

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Freitag, 22. März 2013

Zizek in Teheran (35)


Zwischen der Erd' und dem Meer und den himmlischen Höhen gelegen
Mitten im Raum ist ein Ort, wo, was irgend sich zeigt,
sei noch so groß die Entfernung,
und jeglicher Laut zum gehöhleten Ohr dringt


Dieser Vers, LeserIn, der nicht von mir ist, Nein, und auch nicht von Hafez, sollte Dir bekannt vorkommen. Einer der Immerkleinerwerdenden, rechts vom Nehru, rezitiert ihn.

Mit dem ganzen Pathos Teherans.

Dieser zeigt sich im Hin und Her-Wiegen des Kopfes. Wie junge Inderinnen beim Reden, jedoch ohne Anmut. Als hätte er Parkinson. Und: Seine Hand, die etwas rundes, Unsichtbares zu halten scheint, ist die eines Fürsten, der von seinem Balkon aus auf das Volk herabwinkt. Nur, daß der Rezitierende nicht wie ein Aristokrat ausschaut, sondern wie ein Lump.

Alles hätte ich dem Gefängnisarzt zugetraut, nur nicht, daß er Ovid rezitiert. Wenn auch mit dem ganzen Pathos Teherans. Letztes Mal, bei mir auf der Couch, hatte er weder den Bart noch die Brille, hinter der seine Augen kreisen, wie die Hypno-Augen der Kaa, ja, genau, die vom Dschungelbuch, LeserIn.

Neben dem Nehru ist der Gefängnisarzt der einzige Bärtige in der Runde, ich schätze ihn auf Vierzig, Nehru auf Ende oder Mitte Fünfzig, die aber keine Runde ist, sondern eine Reihe. Die anderen Immerkleinerwerdenden und Nehru Flankierenden sind glattrasierte Teheraner Yupppies, resp. Bobos, der Bart des Rezitierenden ist weiß gesprenkelt, wie der des Nehru, aber ungepflegt.

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Dienstag, 19. März 2013

Zizek in Teheran (34)

Es gibt Situationen im Leben, in denen es Gott, den es nicht gibt, doch zu geben scheint. Als Retter vor der inzwischen mehr als peinlichen Snack, wenn auch unendlich erotisch, betritt, rechts hinten, eine Glastür durchschreitend, ein Mittelalter den Raum. Für Teheran relativ Hochgewachsener. Träger einer - sehr - weißen, Nehru-Jacke, aus festerem Stoff. Hinter ihm ein Rattenschwanz von Männern. Im Gänsemarsch. Jeder ein wenig kleiner als der Vorangehende. Auch sie Nehru-Jacken-Träger. Jedoch aus dünnerem Stoff.

Durch die Polizeiambulanz geht ein Ruck. Ich und die anderen PolizeipatientInnen in den orangen Sitzschalen sitzen kerzengerade. Als der Hochgewachsene Träger der Nehru-Jacke, im Folgenden Nehru oder Die Jacke genannt, sich vor mir postiert. Links und rechts die Immerkleinerwerdenden. Die – unendlich erotische - Snack hat sich respektvoll verzogen, befindet sich aber irgendwo in der Tiefe des Raumes.

Die Schrift, sagt Nehru und nickt. Und nickt. Nicken heißt: Ja. Wollen wir jedes einzelne Nicken des Nehru in Worte übersetzen? Das ergäbe folgendes, LeserIn:

Die Schrift.
Ja, die Schrift.
Ja, ja die Schrift.
Ja, die Schrift.

Die Schrift, sagt Nehru, ist eine merkwürdige. Nicht nur ihr Inhalt, Daumen und Zeigefinger des Nehru streicheln ihm über den Hals, sondern merkwürdig sind auch die Umstände ihres Erscheinens.

Ihres Erscheinens?, sage ich, als wäre es das normalste, daß ich am Tag, an dem ich im Gelände meiner Deutschen Schule, jetzt das Internat Islamischer Mädchen, Zeuge eines Mordes wurde, sehr vermutlich begangen von Schirin, dem süßen islamischen Mädchen (Nein, ich bin kein sexistisches Schwein, LeserIn, sondern Schirin heißt in der Sprache Teherans süß), daß ich in der Ambulanz einer Teheraner Polizeistube vor dem Träger einer Nehru-Jacke sitze. Und er spricht ohne Gruß und Übergang von der Schrift, als setzte er ein vor kurzem unterbrochenes Gespräch fort, ein vertrautes Gespräch, unter Freunden.

Der Jacken-Nehru hat im Unterschied zu dem Echten

- eine immens hohe Stirn
- buschige Augenbrauen (schwarz)
- Hakennase

Nicht zu vergessen: Den weiß gesprenkelten Bart und das Lächeln eines Franziskaners aus dem Süden Italiens macht ihn sympathisch,

Liebe Deine Feinde, sagt, der sich selbst haßt. Wie Dich selbst.

Es liegt uns fern, sagt Nehru, die Schrift - und die Urheber der Schrift - gering zu schätzen. Das sind keine Handwerker. Sondern Künstler. Daß ein einzelner Künstler die Schrift verfaßt haben könnte, will ich aber nicht glauben. Es sind mehrere, und ihre Kunst zeigt sich nicht bloß im Verfassen der Schrift, sondern in der Art der Verbreitung.

Sie erscheint. Sie beschäftigt uns. Wir rätseln. Wir haben Angst. Und voller Sehnsucht erwarten wir ihre Rückkunft. Wir kennen nur Bruchteile. Sie kommt nicht. Sie wird kommen. Das wissen wir, dennoch überrascht sie uns. In der Zeitung, die ein Gemüsehändler zu einer Tüte formt. Jene Zeitung ist niemals erschienen, in Werbespots, im Fernsehen und Radio, in Kochbüchern, Kontaktanzeigen in Kontaktmagazinen, zur Stoßzeit, in den Anzeigetafeln der
U-Bahn. In Postwurfsendungen, sozialen Netzwerken, Rundmails, Massen-sms-en. Die Schrift, Daumen und Zeigefinger am Hals des Nehru-Jacken-Trägers stehen jetzt still. Will er sich würgen? Die Schrift, sagt Nehru, ist ein Gerücht. Φημη. 

Zwischen der Erd' und dem Meer und den himmlischen Höhen gelegen
Mitten im Raum ist ein Ort, wo was irgend sich zeigt,
sei noch so groß die Entfernung, ist zu erspähn
und jeglicher Laut zum gehöhleten Ohr dringt.

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Dienstag, 12. März 2013

Santo Spirito - von Gerhard Hammerschmied

Ein durchaus liebenswürdiger alter Herr durchkämmte mit seiner messerscharfen Bügelfalte die unüberschaubare kniende Menschenmenge, die sich vor den Toren der Peterskirche versammelt hatte, bewegte sich zügig, amtshandelnd, auf einen Mann zu, der sich aller Kleider entledigt hatte. Einsam stand er da, eingezwängt in blasse und zitternde Haut, aus der kümmerliches Körperhaar hervorragte, sprach mit ruhigem, klaren Ton: Ihr Narren, steht auf. Dunkler Rauch stieg auf wie in den vielen Tagen zuvor. Dies hier ist kein heiliger Ort, die Vogelscheiße gar wird hier zu Gold. Ihr liegt auf Betten aus Elfenbein und grölt fromme Lieder. Niemand hörte zu, keiner nahm Anstoß.

Der alte Herr hatte ihn erreicht, steckte seinen Rosenkranz in die Hosentasche, hinter dem Kollar tanzte ein nervöser Adamsapfel. Mein Guter, ich bitte Sie. Nicht einmal Er hat sich so entblößt, seinen Blick senkte er zum Boden, nicht ohne mit seinen Augen das Geschlecht des Eiferers zu streifen. Am sechsten Tag erschuf Gott den Menschen, am siebenten war Ruhe und Keuschheit. Die Scham ist dem, der reinen Herzens ist, keine Angelegenheit des Gewandes. Er weiß doch, wie du aussiehst, raunte er ihm zu, wem hier willst du etwas zeigen, ließ seine Augenbrauen emporeilen, bedeutete der Garde, dass sie sich fernhalten solle.
Und du, mein Bruder, gibst dem Papst, was des Papstes ist.
Ja, das mag sein, aber wie du siehst, haben wir noch keinen. Zieh dich wieder an, es ist kalt.

Staatliche Kameras schwenkten weg, private nahmen sie ins Visier.
Monsignore entfernte sich einige Schritte, aus Ratlosigkeit, aber auch um keine Intimität zur Schau zu stellen. Auch du musst knien, rief ihm eine junge Ordensschwester zu, lass ihn doch, er stört uns nicht, er ist so schön, der heilige Franziskus würde das auch tun. Nun, runter mit dir, wenn du einen Papst willst, oder brauchst du gar einen Polster.
Es gibt und es gab nur einen Poverello, nur einen. Und das war es dann.
Die Mädchen ringsum konnten nicht anders, tuschelten, und ihre Blicke erregten das gefürchtete Ärgernis.

Das Feingefühl hieß den Monsignore, sich knapp vor den Nackten zu stellen, ein Gedankenblitz durchzuckte seinen hoch erröteten Kopf, wir sind im Stand der Sünde, und so sprach er mit sanfter Stimme, breitete einen unsichtbaren Mantel um die Katastrophe: Wie heißt du mein Sohn. Niemand konnte die Antwort hören, der dunkle, trostreiche und zersungene Klangteppich der  vatikanischen Kapelle deckte alles zu. Weißer Rauch stieg auf, die Türen wurden geöffnet, die Menschen bekreuzigten sich, blickten empor zum Balkon.

Er kam nicht, niemand kam.

Die Betenden erhoben sich. Der Nackte zog sich wieder an, verlief sich in den Wamst eines Gardisten, dem ein Blitz entfuhr, der ihn zu Boden streckte. Man brachte ihn in die Wachstube, die braven Schweizer berieten noch darüber, ob sie nicht doch einen Krankenwagen herbeirufen sollten, ja einen Arzt jedenfalls, er tat ihnen leid. Sorgsam betteten sie ihn auf eine Bank, hielten ihm dann und wann eine Hand auf seine Stirn, zogen ein Augenlid hoch und leuchteten ihm in die Pupille. Keinen Puls spürten sie mehr, nicht an der Hand, nicht am Hals. Ratlos gingen sie auf und ab, manch einer stocherte mit seiner Hellebarde an seiner Kutte herum, so als wäre einem römischen Legionär daran gelegen, den toten Christus zum Leben zu erwecken. Der Arzt kam nach einer Ewigkeit, ein junger, gründlicher, mit feinen Brillen und kurzem Haar, applizierte einen feinen, roten Defibrillator. Dieser arme Amos aus Trastevere zuckte wie ein Aal, der die Köche das Schaudern lehrt. Vergebens. Ich muss das melden, meinte der Mediziner, ich muss.

Der Balkon war noch immer leer.

Sie nehmen ihn doch mit, in das Krankenhaus, damit er dort versterben kann, laut Papier und offiziell. Eine Bahre wurde herbeigebracht, der Tote an Armen und Beinen hochgehoben, verlegt und hinaus getragen.
Amos öffnete die Augen.

Wir müssen weiter, es weiß doch keiner, dass er tot war, murmelte der Fahrer der Ambulanz. Scheintot, mein Guter, scheintot, meinte der alte Herr, der lautlos die Stube betreten hatte. Erleichterung kam auf, doch keine Freude. Amos erhob sich von der Bahre, schüttelte den Kopf, setzte sich auf die Bank, nestelte an seiner Kutte, das grobe Leinen schmerzte an der Wunde.

Lasst mich gehen, ich bitte euch.

Monsignore setzte sich dazu, holte seinen Rosenkranz aus der Tasche, ließ ihn um die Finger kreisen, suchte nach Worten.
Damit du dich wieder ausziehst, sagte er.
Also Amos heißt du, das ist doch nicht dein wirklicher Name.
Andere Zeiten, andere Opfer.
Am besten gar keines, das ist das Opfer des Opfers.
Du warst drüben.
Du hast nichts zu berichten.

Monsignore öffnete die Tür einen Spalt breit, um einen Blick auf den Balkon zu werfen, sein blankes Haupt war getaucht in mildes Abendlicht, das noch kurz auf ihm ruhte wie eine Aura der Arglosen, als er sich wieder zu dem armen Teufel setzte. Der Doktor packte seine Tasche mit großer Sorgfalt. Ja, es geschehen noch Zeichen und Wunder, entkam es den zugespitzten Lippen des Klerikers, man gewöhnt sich nie daran. Die Ambulanz fuhr ab, die Gardisten nahmen ihren Dienst wieder auf, lockerten ihre vom Stillstand versteiften Gelenke, spreizten ihre Waffen, als ob es gälte, einen kaiserlichen Soldaten aufzuspießen, öffneten einige Dosen Bier und prosteten einander zu, wohl bekomm’s euch, ihr Papistenschweine.

Du willst nicht erzählen. Nun gut, dann tue ich es. Ein Verrückter wie du einer bist, wird das aushalten.

Du glaubst, es war wie in diesem Film, ein Papst von Bescheidenheit und einfacher Würde, du täuschst dich, es fehlte diesem Kinohelden die wahre Demut, und ich sage dir, Herr Moretti war da selbst voll von Eitelkeit, wie sie unsere Kardinäle so nicht besitzen.

Mit dem Heiligen Geist schwebten sie in die Sixtinische Kapelle, alles was ihn am Wehen hätte hindern können, hatten sie in den Gemächern gelassen. Wer auch wollte ihn mit solch irdischen Dingen belästigen.

Er ist überall, sagst du, alles ist Gottes, das ist wahr, doch die Kirche ist ein Schiff mit mächtigen Segeln, die man setzen muss. Er weht wie er will und wo er will. Der erste Wahlgang, das ist nur eine heilige Übung, die man vollbringt, um sich einzustimmen. Doch Merkwürdiges geschah. Bei der Auszählung der Stimmen ergab es sich, dass jeder Kardinal sich selbst wählte. Das Gremium zog sich zurück um sich zu beraten.

Fast unbemerkt sammelten sich die Gardisten um die beiden.
Amos und der alte Herr verließen die Stube, gingen, an den Kolonnaden entlang, in eine Seitenstraße und suchten ein kleines Espresso auf. Erschöpfte Pilger saßen dort bei Wasser und Tramezzini, die Besitzerin brachte ihnen Caffé, Amos bedankte sich höflich, lächelte seinem Begleiter aufmerksam zu.

Nun gut, ich fahre fort. Auch der zweite und der dritte Urnengang erbrachte dasselbe Ergebnis, bis dann endlich einer verzichtete. Die Kardinäle verfielen in heftigen Streit, um sich endlich darauf zu einigen, diesen einen zum Papst zu wählen.

Die Besitzerin hatte ihre Ohren gespitzt, sie kannte diese Geschichte schon.
Warum er nicht kommt? Der Heilige Geist war nicht zufrieden, sage ich dir. Man legte dem Armen die päpstlichen Kleider zurecht, sie wollten nicht passen, er wehrte sich mit Händen und Füßen, obwohl er ja eben noch die Wahl angenommen hatte. Wie ein kleines Kind brüllte er, das nackt bleiben will.

Einige Studenten kamen die Straße herunter, lebhaft miteinander diskutierend, blieben an den Tischen stehen, Amos stand auf, begrüßte sie herzlich, sank ihnen erschöpft in die Arme. Jubel brandete auf, ein Habemus Papam stieg zum Himmel auf, der so keusch war wie einst in den Tagen der kapitolinischen Wölfin.
Die Massen strömten der Piazza zu.
Ein Skelett rief einer, der Sensenmann.
Ein Kind, ein anderer.
Eine Frau.
Alle Päpste der langen Geschichte der Kirche erschienen am Balkon, grüßten huldvoll, die französischen, nicht, und Petrus auch nicht, aber doch so viele, als in der Peterskrypta Platz hatten.

Sonntag, 10. März 2013

Zizek in Teheran (33)

Sicher. Langsam wird die Pantomime der Snack mich zu nerven beginnen. Aber seher seher (vergiß die Erotik nicht) langsam. Bauchfrei, brünnett, die Stewardesskappe. Daß sie drall ist, kannst Du Dir vorstellen und ihre Brüste im eng anliegenden T-Shirt. Nein. Pornographie ist das nicht LeserIn. Die Snack setzt auf ihre pornographischen Kompetenzen, um als GeheimpolizistIn zu reüssieren. Bislang ohne Erfolg. Was sie aus dem Konzept bringt. Vollführt sie doch ihre pantomimisch-pornographische Zuckung nunmehr ohne jedweden Snack streckt sie mir ihre immer wieder leere Hand entgegen. Begleitet von den Worten: Die Schrift. Eine mehr als verbissen vorgetragene Bitte. Keine Frage.

Es gibt Situationen im Leben eines Menschen, in denen es Gott, den es nicht gibt, doch zu geben scheint. Zwar nicht aus dem Nichts, nichtsdestotrotz als Retter vor der inzwischen mehr als peinlichen Performance der Snack, wenn auch unendlich erotisch, erscheint rechts hinten, eine Glastür durchschreitend, ein Mittelalter. Für Teheran relativ Hochgewachsener. Träger einer sehr weißen Nehru-Jacke aus einem festeren Stoff. Hinter ihm, im Gänsemarsch, ein Rattenschwanz von Männern. Alle tragen sehr weiße Nehru Jacken, aber aus einem dünneren Stoff, jeder ein wenig kleiner als der Vorangehende. Die Nehru-Jacken der Immerkleinerwerdenen sind hüft-, die des Hochgewachsenen knielang.

Was eine Nehru-Jacke ist, weißt Du schon, LeserIn.

Falls nicht:

The Nehru jacket


The Nehru jacket is a hip-length tailored coat for men or women, with a mandarin collar, and with its front modeled on the South Asian achkan or sherwani, an apparel worn by Pandit Jawaharlal Nehru, the Prime Minister of India from 1947 to 1964.

Nehru, notably, never wore the Nehru jacket himself.

Die minimalistische Ästhetik der Nehru-Jacke beeinflußte sowohl die Beatles als auch Sammy Davis jr., welcher 200 (in Worten zweihundert) Nehru-Jacken besaß.

In Indien tragen Männer aller Altergruppen solche Jacken.

Die Nehru-Jacke ist unsere Antwort auf den Smoking. Sie ist nur eleganter und sexyer (Die Vereinigung der indischen Designer).

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Samstag, 9. März 2013

Zizek in Teheran (32)

Sie wissen alles, sage ich.

Fast, sagt die Snack.

Und woher?

Von irgendwoher kommt Musik. Möglich, daß ich schon deliriere. Ein Tango. Hast Du schon einmal eine Musik zu beschreiben versucht, LeserIn? Thomas Mann? Dr. Faustus? Der hatte den Adorno. Die Musik wird von einer Art Tanz begleitet. Der ist leichter zu beschreiben.

Und woher?

Von irgendwoher kommt Musik. Die Snack nimmt mir den Becher von den Lippen und entsorgt ihn in den chirurgisch grünen, seitlich an der Snackbar befestigten Müllsack. In ihrer Bewegung des Den-Becher-Nehmens und In-den-Müllsack-Werfens ist ein minimales, affektiertes Zucken. So minimal nun auch wieder nicht. Als hätte die Snack einen Fächer und wollte mir tänzelnd, und in der Fächersprache des Rokoko, etwas mitteilen.

Statt eines Fächers entnimmt die Snack einem Fach der mobilen Snackbar einen Gegenstand. Ein Lebensmittel aus meiner Kindheit in Graz, Fruchtspeck, das sie auf ihre rechte Handfläche legt und mir präsentiert.

Dam da ram - da ratata/ Dam da ram - da ratata

Auch in der Bewegung des Den-Fruchtspeck-aus-dem-Fach-Nehmens und Ihn-auf-ihre-Hand-Legens und Ihn-mir-Präsentierens ist jenes minimale, affektierte Zucken, das so minimal nun auch wieder nicht ist.

Dam da ram - da ratata/ Dam da ram - da ratata

Den Fruchtspeck legt sie wieder in das entprechende Fach, entnimmt einem anderen ein paar Erdnußflips, und auch in der Bewegung des Die-Erdnußflipps-aus-dem-Fach-Nehmens und des Die-Erdnußflips-auf-ihre-Hand-Legens und Die-Erdnußflips-mir-Präsentierens ist … siehe oben

Machen wir es kurz, LeserIn. Die Snack entnimmt einen Snack nach dem anderen, legt sie auf ihre rechte Hand und präsentiert sie mir, und in jedem Den-Snack-aus-dem-Fach-Nehmen und Sich-den-Snack-auf-die-Hand-Legen und Mir-den-Snack-Präsentieren ist das selbe minimale, affektierte Zucken, das so minimal nun auch wieder nicht ist.

Liste

m&m
Popcorn
Diverse Sandwiches
Cashewnüsse (Bio)
Lakritzen (Erinnerst Du Dich, LeserIn, an die Lakritzentötung?)
Tamarindenmark
Bier (Puntigamer)
Mannerschnitten
Gummibärchen
Bier (Gösser)
Nachos
Erdnüsse
Diverse smothies

GeheimpolizistInnen handeln mit Geheimnissen wie Gemischtwaren-händlerInnen mit Gemischtwaren. Die Snack ist Geheimpolizei und Gemischtwarenhändler in einer.

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Donnerstag, 7. März 2013

Zizek in Teheran (31)

verstehen sie nicht, haben aber eine Empfänglichkeit für den Gleichklang der Laute

Santiago oder Karthago

Chinesentum oder Christentum

Abendrot oder Atemnot

Ackermann oder Ariman

Ja, sage ich. Aber verrate nichts. Aber es gibt nichts zu verraten. Außer, daß der Gefängnisarzt diesen Text aufgesagt hat, statt zu assoziieren, diesen verrückten, den er auswendig gelernt hatte, wenn auch höchst intelligenten. Der Text des Gefängnisarztes ist also Die Schrift.

Der Text des Gefängnisarztes ist also Die Schrift?

Aber ich werde nichts sagen. Ich schlürfe meinen Verlängerten und werde nichts sagen, abgekühlt ist er ja, Verlängerter, ich wiederhole, kommt von Verlangen, um meine Zunge nicht zu verbrennen.

"Die Schrift" ist also nicht nur mir ein Geheimnis. Die Snack bringt mich in Versuchung. Nicht, was Du denkst LeserIn. Das heißt ja. Auch. Was ich aber sagen will: Hegel sagte, die Geheimnisse der alten Ägypter waren auch für die alten Ägypter Geheimnisse. Die Snack bringt mich in Versuchung, aus der Schrift, die mir ein Geheimnis ist, mein Geheimnis zu machen.

Mag sein, daß wir nicht alles wissen, sagt die Snack, und neigt den Becher mit dem Verlängerten gerade so, daß sich bequem daraus trinken läßt. So guten Kaffee wie in den Gefängnissen Teherans gibt es nicht einmal im Rainer in Graz, LeserIn.

Mag sein, daß wir nicht alles wissen, sagt Snack, aber fast. Dann erzählt sie mein Leben. Teheran. Narges. Graz. Medizin. Literatur. Psychiatrie. Revolution. Ingeborg. Jetzt wieder Teheran. Siehe auch oben.
Gott, das Leben und die Geheimpolizisten der Mörderregime haben eines gemein: So gemein sie auch sind, daß sie uns ungemein beeindrucken können.

Im Austausch für den Eindruck, den sie gemacht hat, will die Snack, etwas über Die Schrift wissen. Wie GemischtwarenhändlerInnen mit Gemischtwaren handeln GeheimpolizistInnen mit Geheimnissen.

Ich hasse die Teheraner Behörden. Die Snack ist der Feind. Wenn auch unendlich erotisch. Führe uns nicht in Versuchung.

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