Dienstag, 6. November 2012

Zizek in Teheran (16)

„Das sagt Eure – islamische – Direktorin?“

„Vizedirektorin. Sie ist Materialistin. Und Atheistin. Wie unsere Direktorin. Und die meisten unserer Mädchen im Internat Islamischer Mädchen.“

„Und Du?“ frage ich.

Schirin antwortet nicht, woraus ich schließe, daß auch sie. In Teheran gilt: Sokut alamate resast: Die Schweigende stimmt zu.

Weil ich die Schweigende sage, und nicht der, hast Du, werter Leser, folgende Assoziation: Wenn eine Frau Nein sagt, heißt das: ‚Ich weiß nicht‘. Wenn sie ‚Ich weiß nicht‘ sagt – oder schweigt, wie Schirin gerade – heißt das: Ja.

Und wenn sie Ja sagt?

Schirin ist am Wort.

„Um den Inhalt des Buches verdrängen zu können, muß die Verdränger-Materie stark genug sein. Daher nennen wir sie auch Starke Materie. Das Buch hat schließlich dem Mädchen, unter all den Büchern, das es bisher gelesen hat, den größten Genuß bereitet. Bei der Starken Materie muß es sich also um die Erinnerung an ein besonders intensives Erlebnis handeln. Die Erinnerung an dieses besonders intensive Erlebnis verbindet das BCI mit dem Inhalt des zu vergessenden Buches. Wie Besen und Kehricht.“

Wenn sie Kehricht sagt, verwendet Schirin nicht das entsprechende Wort in der Sprache Teherans, sondern sagt Kehricht auf Deutsch. Gerischt. Wie Gericht.

„Nachdem sich das Mädchen die Elektrodenhaube des Brain-Computer-Interface aufgesetzt hat, liest ihm der Computer das zu vergessende Buch vor. Alle Bücher der Bibliothek der in der Sprache Teherans verfaßten Bücher sind im Computer unseres BCI gepeichert. Bestimmte Passagen des zu vergessenden Buches liest der Computer wörtlich vor. Andere werden zusammengefaßt. Nach dem Vorlesen jedes Abschnitts des zu vergessenden Buches fordert der Computer das Mädchen auf, an das intensivste Erlebnis zu denken, das es je hatte. Das Mädchen muß sich also mehrmals an das selbe intensive Erlebnis erinnern. Umso öfter je dicker das Buch ist. Und jedesmal wird die ohnehin schon intensive Erinnerung an das intensive Erlebnis durch elektrische Impulse, die über die Elektrodenhaube in das Mädchenhirn geleitet werden, weiter verstärkt. Während die Erinnerungen an das zu vergessende Buch von Abschnitt zu Abschnitt abgeschwächt werden - bis die Erinnerung an das intensive Erlebnis die Erinnerung an die Lektüre des zu vergessenden Buches ausgelöscht hat.“

„Ist das nicht -“, frage ich.

„Das ist -“, sagt Schirin, gleichzeitig mit mir und überstimmt mich,
„ - gefährlich.“

Wir lachen.

„Ich weiß. Das Stärkste ist immer das Schlimmste. Aber wir Mädchen tricksen uns selbst aus. Meistens erinnern wir uns nicht an das Schlimmste, sondern an das Zweit- oder Drittschlimmste. Wenn nicht gleich an ein angenehmes Liebeserlebnis.“

„Ist Liebe nicht das Schlimmste?“

„Ja“, sagt Schirin, „natürlich.“ Sie erscheint auf einmal gelangweilt oder genervt. „Ich rede aber von der romantischen Liebe. Wie sagt Ihr in Graz?“

Wie sagen wir in Graz?

„Blümchensex“, sagt Schirin

Hier also, Leser, ein islamisches Mädchen, im Internat Islamischer Mädchen, das abfällig vom Blümchensex spricht. Und Atheistin und Materialistin ist. Letzteres findest Du nicht unbedingt geil. Ich weiß. Aber alles zusammen sehr geil. Nicht wahr?

wird fortgesetzt

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