Dienstag, 14. August 2012

Zizek in Teheran (7)


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Die natürliche Vergeßlichkeit der Seelen

Der Gefängnisarzt kommt seit Wochen nicht mehr. Ich habe aber seinen Platz nicht vergeben. Am Montag, Mittwoch, Freitag lege ich mich, um Punkt vier, auf die Couch, und schließe die Augen.

Die durch den Läuterungsprozeß gereinigten Seelen steigen zum Himmel und gelangen dadurch zur Seligkeit. Die Seligkeit besteht in einem Zustand ununterbrochenen Genießens, verbunden mit der Anschauung Gottes. Für den Menschen würde die Vorstellung eines ewigen Nichtstuns etwas Unerträgliches bedeuten, da für ihn erst die Arbeit das Leben süß macht. Allein man darf nicht vergessen, daß die Seelen etwas anderes sind als der Mensch. Für die Seelen bedeutet das fortwährende Schwelgen im Genuß und zugleich in den Erinnerungen an ihre menschliche Vergangenheit das höchste Glück. Dabei sind sie in der Lage, im Verkehr untereinander ihre Erinnerungen auszutauschen, und vermittelst göttlicher Strahlen von dem Zustand auf der Erde lebender Menschen, für die sie sich interessieren Kenntnis zu nehmen.

Zurückzuweisen ist die Vorstellung, daß das Glück der Seelen durch die Wahrnehmung, daß ihre noch auf der Erde lebenden Angehörigen in unglücklicher Lage sich befinden, getrübt werden könnte. Denn die Seelen besitzen zwar die Fähigkeit, die Erinnerung an ihre eigene menschliche Vergangenheit zu bewahren, nicht aber neue Eindrücke, die sie als Seelen empfangen, auf eine irgend in Betracht kommende Zeitdauer zu behalten.

Dies ist die natürliche Vergeßlichkeit der Seelen, welche neue, ungünstige Eindrücke alsbald bei ihnen verwischt.

Auf einmal erinnere ich den Text, des Gefängnisarztes. Der natürlich nicht der Text des Gefängnisarztes ist, sondern der eines, wenn auch intelligenten, Verrückten. Hat es bloß des leeren Platzes des Gefängnisarztes bedurft, auf der Couch, um die Wolke zu vertreiben, die mich jedes Mal, wenn er von den Wolken und Vögeln und Gott sprach, umhüllt hat? Der Gefängnisarzt selbst war die Wolke.

wird fortgesetzt

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