Sonntag, 12. Februar 2012

Wunderland 37

Den Kunden abholen, wo er ist ...


"Du wirst Dich so positionieren, daß er nicht merkt, oder nicht sofort, daß Du kein … daß Du nicht wirklich ein Mädchen bist. Der Militärschneider lächelte gütig, wie ein Vater. Das werden wir üben. Und in der Zeit, die er braucht bis er es merkt, werden wir Euch filmen.

Sie verwechseln da etwas, rief ich empört, man bildet uns aus, um uns Männern zur Verfügung zu stellen, die sich freiwillig unserer bedienen.

Der Militärschneider schwieg.

- Und … wie wollen Sie uns - in der Dunkelheit filmen?

Mit der Infrarotkamera, der Militärschneider lachte auf einmal ein schrilles, hysterisches Lachen.

Auf einmal war Paskarani, der mir bis dahin gleichgültig gewesen war, sympathisch.

- Und warum überhaupt? Warum wollt Ihr den Armen kompromittieren?

Von irgendwoher nahm der Schneider ein Buch und schlug es auf. Kompromittieren, las er, ist das Bloßstellen eines Menschen. Und nach einer Pause: Wenn man aber jemanden bloßstellen kann,dann muß es das, was man bloßstellt, auch geben. Dann ist er also schwul. Und wenn er liberal und schwul ist, muß er sich bekennen.

Ich spürte, daß die Argumentation des Militärschneiders falsch war, hätte aber nicht sagen können, warum. Ist doch seine Sache, daß er schwul ist, sagte ich - ich hatte angefangen, über Paskarani zu reden, als stünde es fest, daß er schwul sei.
Du spricht wie ein Liberaler, sagte der Militärschneider, nahm seine Mütze ab, und legte sie auf den Tisch. Die Liberalen bringen uns aber nicht weiter. Genauso wenig wie die Linken.

Weißt Du übrigens, warum unsere Revolution gesiegt hat?


Eure Revolution?, wollte ich rufen, Eure? Unsere Revolution. Die habt Ihr gestohlen!

Die Revolution
, sagte der Schneider, hätte niemals gesiegt, hätten wir, religiöse Faschisten, sie den Linken und Liberalen nicht gestohlen. Ohne Religion geht in Teheran nichts. Glauben Sie jetzt aber nicht, daß ich die Religion nicht verabscheue. Ich verabscheue sie. Und unsere Religion Teherans ist von allen die verabscheuungswürdigste. Aber Teheran ist ein Kunde. Du mußt ihn abholen, wo er ist.“ Der Junge sah, bedrückter als ohnehin schon, in sein Bier. „Wie oft habe ich hier, in den Bergen, während des Studiums der Betriebswissenschaften, den Satz gehört: Du mußt den Kunden abholen, wo er ist! So oft bis ich das Studium aufgab. Ich weiß aber nicht mehr, ob ich das Studium wegen des Militärschneiders aufgab, oder ob ich Du mußt den Kunden abholen! zum ersten Mal in den Deutschsprachigen Bergen gehört, und ihn dem Militärschneider dann, in der Erinnerung, in den Mund gelegt habe.

Ich war ein aufgeweckter Junge, ich sagte es schon. Vor Autoritäten hatte ich keine Angst, und wollte dem Militärschneider, wie vor und nach ihm Faschisten und Religiösen aller Art, widerprechen und ihn systematisch niederreden. Aber sein Zynismus im Umgang mit der Religion machte mich sprachlos.

Ohne Religion, sagte der Schneider, geht in Teheran nichts, und überhaupt müßten wir Religion, wenn es sie nicht gäbe, erfinden - ich meine uns Politische, wenn ich wir sage, und wenn ich uns Politische sage, nicht die bürokratischen sondern die Politiker des Politischen, die wollen, daß in der Gesellschaft -“, der Junge hielt inne, „welche Worte er an dieser Stelle gebrauchte, kann ich nicht sagen, aber ein Bewohner der Deutschsprachigen Berge hätte an dieser Stelle gesagt: - die wollen, daß was weitergeht in der Gesellschaft, hingegen die Bürokratischen, sagte der Militärschneider, jenem Staatsmann den Satz in den Mund gelegt haben, 'Politik ist die Kunst des Möglichen', was er nicht gesagt hat. Er sagte, daß Politik eine Kunst sei, und keine Wissenschaft. Aber als Kunst muß sie das Unmögliche wollen, weshalb sie ohne Religion nicht auskommt. Zumal in Teheran, wenn sie will, daß was weitergeht. Religion macht das Unmögliche möglich.

Und weißt Du, wo wir, Politiker des Politischen, beginnen müssten, wenn wir wollten, daß was weitergeht in der Gesellschaft in Teheran? Ich wußte es natürlich nicht. Weder bei den Rechten der Bürgerinnen und Bürger, der Militärschneider setzte sich die Schlafmütze wieder auf, noch bei dem Gegensatz zwischen den Klassen - sondern beim Sex.

Und wieder wunderte ich mich, daß der Militärschneider, mit der phrygischen Mütze, Sex gesagt hatte, und nicht Liebe."

wird fortgesetzt

Donnerstag, 2. Februar 2012

Sama Maani, ZEITZEUGENSTUNDE



Regie: Andreas Kurz
Lukas Schiske, Percussion


Graz, 1978. Ein Perserjunge und die Reaktionen auf die TV-Serie "Holocaust".


24., 25. Februar und 3., 4. März 2012
Beginn: 19:30 Uhr

Brick-5 , 1150 Wien, Fünfhausgasse 5

Karten: zeitzeuge@chello.at
12.-/8.-

Sama Maani, geboren als Kind iranischer Eltern in Graz, wuchs in Österreich, Deutschland und dem Iran auf. Studium der Medizin in Wien und der Philosophie in Zürich. Arbeitet als Autor, Psychoanalytiker und Psychiater in Wien. Preis des Wettbewerbs schreiben zwischen den kulturen 2004. Österreichisches Staatsstipendium 2007. Zahlreiche Publikationen in deutschsprachigen und iranischen Literaturzeitschriften und Anthologien.

Andreas Kurz, geboren in Attnang-Puchheim/OÖ, lebt als Autor, Regisseur, Radiomacher und Universitätslektor in Wien und Budapest. Zahlreiche Stipendien, Preise und Festivalteilnahmen. Zuletzt veröffentlicht: "Zwischen Himmel und Erdnuss", Theatermonolog mit Musik, Festival der Regionen 2011; "Unter Umständen", Kurzfilm (Buch und Regie), RubatoFilm Produktion, 2011. Aktuelle Arbeiten: Debütfilm "Rattenkinder" und die Kino-Dokumentation "freiräumen".

Lukas Schiske, Schlagwerk, geboren in Wien. Mitglied des Klangforum Wien. Spezialisierung auf Neue Musik. Daneben Zusammenarbeit mit Orchestern unterschiedlicher Stilrichtungen (u.a. Los Angeles Philharmonic Orchestra, Wiener Symphoniker und etlichen Barockorchestern). Als Jazz- und Rockdrummer u. a. bei Wolfgang und Christian Muthspiel und Franz Hautzinger. Szenische Auftritte: u. a. mit Christoph Marthaler. Als Solist national und international tätig.