Samstag, 29. Oktober 2011

Wunderland 33






Eurythmie für Mädchen



Du mußt nach Hause?, fragte die Professorin und Teheraner Feministin. Sie wußte also, daß ich, als ich aus der Telefonzelle gerannt war, Ich muß nach Hause gerufen hatte. Das Mädchen sah mich an, ernst und besorgt, wie die Professorin und Feministin, die ihre Frage wiederholte. Ich schüttelte den Kopf, als wollte ich Nein sagen, sagte aber: Ja.
Es gibt nur einen Weg, sagte die Professorin, das Lager zu verlassen, ohne dabei seine Angehörigen zu gefährden.
Die Mädchenweihe?, fragte ich. Ja, sagte die Professorin.
Ich dachte an den Athletischen und den Schmächtigen, und an den Schlager Weil ich ein Mä-he-dchen bin, und wie der Athletische in die Knie gegangen war, aus Verzweiflung, es nicht zu schaffen, ein Mädchen zu sein - der Athletische war ein sissy boy“, der Junge wandte sich an mich, „unsere Mutter hatte Amerikanistik studiert, und wir hatten zuhause lauter amerikanische Bücher. Ich glaube, ich kenne sissy boy aus den Büchern der Mutter; der Athletische war ein sissy-, resp. ein pussy boy – und ich sollte ebenfalls einer werden.

Übrigens beschäftigte mich die Frage, wie denn die Kooperation zwischen den Sexologen innerhalb und den reformierten Faschisten außerhalb des Lagers bei der Mädchenweihe funktionieren sollte. Ich habe es niemals erfahren. Auch nicht während meines, resp. nach meinem Training, das am selben Tag -“,
„Du hast es also gemacht?“, fragten der Grobe und der Feine unisono, das Gesicht des Groben war rot, das des Feinen blaß. Der Junge ignorierte sie.
„Ich begann mein Training noch am selben Tag, einen Crash-Kurs mit Einheiten wie


Welcher Mädchentyp bist Du?
Ayurveda- und Thai-Massage
Mein Körper und ich
Die Psychologie des Mädchens (ohne besondere Berücksichtigung der Moral)
Eurthythmie für Mädchen


- und praktische Übungen in Bekleidung, Kosmetik, Körperhaltung sowie im Tanzen, Flirten, Verführen und Sex.“ „Und Sex?“, fragten der Feine und der Grobe unisono. Der Junge ignorierte sie wieder. „Nach dem Aufstehen und vor dem zu Bett gehen mußte ich mir vor dem Spiegel sagen, daß ich ein Mädchen sei, oder, daß ich es liebte, ein Mädchen zu sein, ich weiß es nicht mehr.

Später sollte ich erfahren, daß es die Mädchenhäuser in Wirklichkeit gar nicht gab, weder damals noch später, d.h. es gab ein geheimes Pilotprojekt, in einem Militärgebäude im Norden von Teheran, darauf hatte die Professorin sich wohl bezogen, als sie meine Frage, ob es Mädchenhäuser schon gäbe, mit Ja beantwortet hatte. Aber die 'Mädchen' in diesem Pilotprojekt wurden – auch das sollte ich später erfahren – von den reformierten religiösen Faschisten, d.h. von der sogenannten Geheimdienst-Fraktion der reformierten religiösen Faschisten zweckentfremdet“.

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Sonntag, 16. Oktober 2011

Wunderland 32

Julianne Moore als Egon Schieles Sitzende Frau mit hochgezogenem Knie (1917)






Der Vergleich der Kniekehle des Gottes der Religion Teherans mit der eines köstlichen Mädchens sowie die Tatsache, daß in einem Epos der Religion Teherans ein Mann einen anderen küßt, und riecht, und liebkost, und dieses Küssen, und Liebkosen, und Riechen eines Mannes - und noch dazu Gottes - sowie das Trinken seines Körperschweißes zum Sieg im Heiligen Krieg führen, das alles brachte uns, sagte die Professorin und Feministin, auf den Gedanken, daß es in der Religion Teherans möglich sein müßte, aus Männern Mädchen zu machen.

So entstand - in Kooperation mit den reformierten religiösen Faschisten – das Projekt Mädchenweihe: Männer, die den Glauben haben, oder den Wunsch verspüren, ein Mädchen zu sein, oder weder den Glauben haben noch den Wunsch verspüren, aber ein Zubrot verdienen wollen, können sich nach Absolvierung von psychologischen und physiologischen Tests einem Training unterziehen, und werden nach dessen erfolgreichem Abschluß in einer Zeremonie im Beisein von Klerikern, Theologen und Juristen der reformierten Faschisten zu Mädchen geweiht.

Die ‚Mädchen‘ stünden, so die Professorin, in eigens eingerichteten Mädchenhäusern zur - legalen - Ausübung der gleichgeschlechtlichen Liebe zur Verfügung, und für die Inanspruchnahme ihrer Liebesdienste entrichteten die Klienten eine Summe, deren größerer Teil an geistliche Einrichtungen der reformierten religiösen Faschisten ginge, der kleinere an das ‚Mädchen‘.

Ich fragte, ob es solche Mädchenhäuser schon gebe? Ja, sagte die Professorin, und daß es bei deren Auswahl unerheblich sei, ob die Männer feminine Merkmale aufwiesen, seien es körperliche oder seelische, oder nicht. Als sie das sagte, sah sie mich an, und wieder schien sie mir ernst, und besorgt - seit der Episode mit dem Athletischen, im Innenhof, und während sie uns die Mädchenweihe erklärte, war sie nämlich wieder heiter gewesen, wie immer.

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Samstag, 8. Oktober 2011

Wunderland 31







... und offenbart sich einer Gruppe von Teheraner Feldherren in seinem göttlichen Glanz ...

Während uns die Professorin und Feministin über weitere Aspekte der Teheraner Tempel-Masturbation in Kenntnis setzte, nahm ich einen athletischen, hochgewachsenen Mann wahr, neben einem kleinen, schmächtigen. Wir standen auf der Wiese des schönen Gartens im Innenhof des Instituts. Die beiden schienen in ein Gespräch verwickelt, zugleich hatten sie die Professorin im Auge, als erwarteten sie ihre Aufmerksamkeit. Der Athletische, der auf einmal zu singen begann, zuerst leise, dann lauter, bis die Professorin und Teheraner Feministin verstummte, hatte einen für Süd-Teheran typischen Schnauzbart und sang einen Schlager aus Süd-Teheran, in dem die Vorteile eines Daseins als Mädchen beschrieben werden:

Komm doch mal rüber, Mann,
Und setz Dich
Zu mir hin

Weil ich ein Mä-he-dchen bin
Weil ich ein Mä-he-dchen bin

Keine Widerrede Mann,
Weil ich ja sowieso gewinn

Weil ich ein Mä-he-dchen bin
Weil ich ein Mä-he-dchen bin


[…]

Mitten im Schlager unterbrach sich der Athletische und sagte mit einer klaghaften, fast weinerlichen Stimme: Ich kann das nicht. Ich schaff das nicht. Ich kann das nicht.
Aber Du willst es, sagte oder fragte der Schmächtige, und legte ihm den Arm um die Schultern. Daraufhin ging der Athletische in die Knie und begann zu weinen.
Wann hat sie ihre Weihe?, fragte die Professorin und Feministin, ging zum Weinenden und flüsterte ihm, ohne auf eine Antwort zu warten, ins Ohr.
Ich schaute auf das Mädchen, das mir zu verstehen gab, daß die Professorin und Teheraner Feministin mir schon alles erklären würde – so deutete ich zumindest ihre Blicke und die ein wenig nervösen Bewegungen ihres Kopfes - sagte ich übrigens, daß sie hübsch war?

Später, beim Tee, auf der Dachterrasse des Instituts, erklärte uns die Professorin die seltsame Szene. Beim Studium von Phänomenen wie der Tempel-Masturbation war den Forschern des Instituts die Idee gekommen, daß auch andere sexuelle Probleme der Religion und Gesellschaft Teherans auf ähnliche Weise zu lösen sein müßten, wie es bei der Tempel-Masturbation der Fall war. Indem sich nämlich, sagte die Professorin und Teheraner Feministin, die Religion selbst austrickst. Die Wissenschaftler hatte dabei in erster Linie an das größte, wie die Professorin sagte, sexuelle, religiöse und gesellschaftliche Problem Teherans gedacht – die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Teheraner Männern.

Unsere Studien, sagte die Professorin und Feministin, brachten uns zu der Überzeugung, daß wenn das Masturbationsproblem in der Teheraner Religion durch die Einführung von Gutscheinen in den Griff zu bekommen war, es eine ähnliche Lösung auch für die Männerliebe geben müßte“, der Junge wandte sich an mich, „In Teheran droht Männern bei gleichgeschlechtlicher Liebe die Exekution, und nach der Exekution die Hölle der Teheraner Religion.

Bei der Lektüre der Filnameh“, der Junge wandte sich wieder an mich, „zu Deutsch Das Buch der Elefanten - eines Epos aus der Frühzeit der Teheraner Religion - war eine Mitarbeiterin der Professorin dann auf eine bemerkenswerte Passage gestoßen: Einmal als die Anhänger der Religion Teherans im Kampf gegen die Ungläubigen in Bedrängnis geraten, kommt der Gott der Teheraner Religion als Recke mit dem stärksten, schönsten und vollkommensten Körper auf die Welt, um dem Heer der Religion Teherans beizustehen. Eines nachts lüftet er das Geheimnis und offenbart sich einer Gruppe von Teheraner Feldherren in seinem göttlichen Glanz - woraufhin sich diese zu Boden werfen und ihm zunächst die Füße, dann die Unterschenkel, die Kniekehlen, die Oberschenkel, die Hüften, den Bauch, die Brust, die Schultern, den Hals und den Mund küssen, und indem sie den Duft seines Körpers riechen, resp. seinen Schweiß trinken, geraten sie in eine Trance. Der Schweiß und der Körpergeruch des Gottes der Religion Teherans wirken als militärische Droge, unter deren Einfluß am Morgen des folgenden Tages die besagten Feldherren das Heer der Religion Teherans zum Endsieg über den Feind führen.

Das Buch der Elefanten, so die Professorin, beschreibe den Geruch und die Form der Kniekehle des Gottes der Teheraner Religion als köstlicher als die Kniekehle des köstlichsten Mädchens.

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